Proteomik ist eine junge Forschungsrichtung mit einer sehr viel älteren Wurzel: der Proteinanalytik. Diese befaßt sich mit der Aufklärung von molekularen Eigenschaften wie Aminosäuresequenz, dreidimensionale Struktur und biologische Aktivität individueller Proteine. Untersuchungsgegenstand der Proteomik ist demgegenüber die Gesamtheit aller Proteine in einer biologischen Probe im Moment der Untersuchung und bei den dafür gültigen Bedingungen. Dafür wurde im Jahre 1995 erstmals der Begriff "Proteom" vorgeschlagen (Wasinger et al. 1995).
Am häufigsten werden die Proteome homogener Zellpopulationen (aus Zelllinien) und biologischer Gewebe, inkl. Humangewebe, analysiert, um Antworten auf Fragen zur Regulation der natürlichen Lebensvorgänge und insbesondere natürlich zur Entstehung, Therapie und Verhinderung von Krankheiten zu bekommen.
Die bisherigen Ergebnisse der Genomik, die Kartierung der Gene, ihre Sequenzierung und weitere analytische Schritte an Genomen reichen bei weitem für das Verständnis der molekularen Grundlagen der natürlichen und krankhaften Lebensvorgänge nicht aus. Die Wirkung der Gene beruht zum überwiegenden Teil auf den von ihnen verschlüsselten Proteinen. Die entscheidenden Informationen zum Verständnis der physiologischen und pathologischen biologischen Prozesse sind dementsprechend in der Zusammensetzung der Proteome verborgen.
Genome sind statische Baupläne, Proteome dagegen in Abhängigkeit vom aktuellen biololgischen Zustand und Umgebungseinflüssen in hohem Ausmaß dynamisch. Raupe und Schmetterling besitzen dasselbe Genom. Was ihre unterschiedliche Erscheinung ausmacht, ist vor allem die Zusammensetzung ihrer Proteome!
Proteomik im engeren Sinne bedeutet auf der experimentellen Ebene zunächst die qualitative und quantitative Bestimmung aller Proteine in Zellen und Geweben im Sinne einer unter genau definierten Bedingungen entstandenen Momentaufnahme. Ihre überragende Bedeutung als analytisches Werkzeug erhält die Proteomik durch das Potential, aus dem Gemisch der mehr als 10 000 Proteine eines typischen Zellproteoms einzelne oder einige Proteine zu identifizieren, die mit Änderungen im Erscheinungsbild von Zellen (z.B.
Phänotypänderungen bei Wachstum, Anpassung oder Erkrankung) verknüpft sein können. Dadurch werden in einmaliger Weise Folgeuntersuchungen ermöglicht, um zu ermitteln, ob aus der beobachteten Korrelation ein Kausalzusammenhang offen gelegt werden kann.